Jakob Spreiter

Gaschurn im Montafon – von hier aus kam der Kaplan Spreiter nach St. Antönien

Jakob Spreiter und St. Antönien als erste reformierte Gemeinde in Graubünden

Bis weit ins 19. Jahrhundert, bevor die Verkehrswege von der Prättigauer Talsohle bis nach St. Antönien ausgebaut waren, herrschten rege wirtschaftliche und soziale Beziehungen zum Montafon (lateinisch Valle Drusianum) im österreichischen Vorarlberg. Die Bevölkerung dort war wie die von St. Antönien walserischen Ursprungs. Ab 1496 war das gesamte Prättigau im Besitz des Hauses Österreich, verwaltet von einem Vogt auf der Burg Castels (Luzein-Putz). Zudem gehörten beide Täler bis ins 19. Jahrhundert dem Bistum Chur an. Die Grenzen, die die Täler beidseits des Rätikons trennten, waren also sehr durchlässig. Im Reformationszeitalter kam ein unterscheidender Aspekt hinzu: die Konfessionen waren nun verschieden.

Am Anfang dieser Entwicklung steht ein Montafoner Priester: Jakob Spreiter, oder wie man damals schrieb Spraitter. Er stammte aus St. Gallenkirch. Sein Geburtsjahr ist unbekannt, es dürfte um 1490 gewesen sein. Zur Pfarrei St. Gallenkirch gehörte das kleine Gaschurn mit einer Kapelle. Hier bekleidete Spreiter ab 1515 das priesterliche Amt eines Kaplans. Bereits im Folgejahr wechselte er nach St. Antönien. Dort war er als curatus, Kaplan der Pfarrei Jenaz unterstellt. Möglicherweise war er damals bereits in Bludenz mit stark reformationsgesinnten Kreisen verbunden gewesen, was er in seinen St. Antönier Jahren noch vertieft haben muss. Für das ganze Zeitalter lässt sich ja sagen, dass reformatorische Bestrebungen nicht blitzartig zutage traten, sondern sich über einen Zeitraum hin zuspitzten und erst dann zu Veränderungen führten. In der ersten Hälfte der Zwanziger Jahre war die Bewegung sowohl von zwinglischer wie auch lutherischer Seite sehr erstarkt.

Der Pfarrer und Historiograph Ulrich Campell von Susch (um 1510-1582), romanisch Durich Chiampell, der 1548-1550 Pfarrer von Klosters war, stellt die Ereignisse 1573 so dar: Das St. Antöniertal sei das erste gewesen, das es in unserem Rätien wagte, dem Papst in Rom die Freundschaft aufzukündigen und sich überhaupt nicht um dessen Gunst zu kümmern. Dies geschah unter Getöse wegen der gefährlichen Meinungsverschiedenheiten, die infolge der damals überall aufkommenden und der Welt unerhört und ungewohnt erscheinenden evangelischen Lehre entstanden waren. Das Tal gab die Messe mit jenem gesamten Glauben und den Riten auf und tauschte sie im Jahr 1524 gegen den anderen Glauben, den es annahm, ein. Die Leute vollzogen diesen Schritt, weil sie von einem sehr gebildeten und beredten Priester aus dem Drusianatal, Jakob Spreiter, überzeugt wurden. Dies ist die älteste Quelle, die belegt, dass St. Antönien die erste reformierte Gemeinde nicht nur im Prättigau, sondern im gesamten heutigen Graubünden war. Das bedeutete vor allem die Abschaffung der Messe und ihre Ersetzung durch den deutschsprachigen Predigtgottesdienst, letztlich auch das Ignorieren bischöflicher Weisungsrechte. Noch bevor die wegweisenden Artikel der Ilanzer Bundstage von 1524 und 1526 beschlossen waren, die für die Gemeinden die Freiheit brachten, einen Priester per Abstimmung zu setzen oder zu entsetzen, längst vor dem Abschluss der Reformation in Chur (1523-27) durch Johannes Comander hatte sich St. Antönien selbst diese Freiheit genommen. Offenbar hatte Spreiter die entscheidenden Argumente geliefert. Einen reformatorischen «Bildersturm» gab es allerdings nicht.

Spreiter soll wie ein Apostel auch andere Gemeinden aufgesucht haben, um im evangelischen Sinne zu predigen. Von Saas und Conters wird dies berichtet, möglicherweise hat er seine Fühler bis ins Schanfigg hin ausgestreckt. In einem bischöflichen Verzeichnis wird er unter dem 23. Januar 1523 noch als Kaplan erwähnt: Dominus Jacobus Spraiter curatus ad Sanctum Anthonien. Nach einem Eintrag vom 23. Januar 1524 ist dort dann mit anderer Schrift und anderer Tinte zu lesen: Est nunc curatus in Tafaus, Luteranam inibi fovens sectam etc. (Ist nun Kaplan in Davos, unterstützt dort die lutherische Sekte usw.). Daraus ist zu schliessen, dass die Reformation in St. Antönien wohl 1523, allenfalls zu Beginn des Jahres 1524 geschah und Spreiter nach Davos weiterzog. Dort hat er sich allerdings nicht lange halten können, die katholisch bleiben wollende Bevölkerung war deutlich in der Mehrheit. 1527 zog Spreiter zurück ins Prättigau, nach Klosters, wo er noch im gleichen Jahre verstorben sein soll.

Eintrag mit Spreiters Namen im bischöflichen Bussenkatalog 1524: «Betreut jetzt die lutherische Sekte in Davos».

Holger Finze-Michaelsen, Buchautor und ehemaliger Pfarrer von St. Antönien